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Von Tempounterschieden und Waldzwergen

Die vergangene Woche war anstrengend. Ich gehe los in den Wald und erst, als ich dort ankomme, merke ich, wie schnell ich gegangen bin. Passend zum Tempo meiner Woche bin ich zum Wald gehetzt, den Kopf leicht nach unten gerichtet und ins Gedankenkarussell versunken. Aber hier ist es sofort, als würde jemand auf die Bremse drücken. Ich werde langsamer. Hebe meinen Blick. Da, diese glänzenden, kräftigen Ahornknospen! Tief durchatmen. Ich bin da.

 

 

 

Ich bin heute früh unterwegs, noch vor all den Sonntags-Coronaspaziergängern. Es ist still auf dem Hauptweg durch den Wald. Die Sonne scheint auf den in der Nacht gefrorenen Boden. Nur ca. 50m von mir lässt sich ein Eichelhäher in einem Baumwipfel nieder. Offenbar ist eine einzige ruhig stehende Person nichts gegen das, was hier sonst los ist. Dieser Waldwächter vermeldet nicht einmal meine Anwesenheit. Ich versuche, mich im Fuchsgang näher heran zu schleichen. Aber natürlich weiß er haargenau, wo ich bin und fliegt weg. Kommt aber wieder, als ich wieder ruhig stehen bleibe. Die Kohlmeisen durchschneiden mit ihrem eindringlichen Ruf die Stille. Jetzt höre ich auch einen Specht trommeln und zwei Ringeltauben gurren.

 

Ein Jogger kommt vorbei und alle machen sich auf und davon. Eine Gruppe Spatzen natürlich nicht, ohne darüber lautstark zu schimpfen.

 

 

 

Ich bekomme gerade gar nicht genug von den Vögeln und ihrem Treiben und suche mir ein Plätzchen in der Sonne, wo ich mich gegen einen Baum lehnen kann. Und schaue weiter. Lasse auch meine Gedanken wieder schweifen, jetzt, da sie sich nicht mehr schnell im Kreise drehen.

 

Ich habe irgendwo gelesen, dass Menschen in der Stadt ein anderes Tempo haben als Menschen auf dem Dorf. In der Stadt reden sie messbar schneller, bewegen sich schneller. Wie wäre wohl das Tempo im Wald?

 

 

 

Der Stress fließt spürbar aus mir raus. Mit den Augen verfolge ich eine Mücke, die in der Sonne herumschwirrt und bemerke, dass ich selbst kaum noch Sonne abbekomme. Ich muss hier lange gesessen haben, die Schatten haben sich bewegt.

 

 

 

Ich erhebe mich und mein Blick fällt auf ein von der Sonne weiß erleuchtetes Birkenwäldchen. Dorthin mache ich mich auf den Weg.

 

 

 

Ich verlasse den Weg um zwischen den Birken nach einer umgefallenen Artgenossin zu suchen, von der ich mir etwas Rinde mitnehmen kann. Das Wäldchen ist größer als gedacht und ein wahres Depot an Birkenrinde, ich kann mich kaum entscheiden. Ich halte meine Ohren an die Stämme und zum ersten Mal höre ich es: das Rauschen des aufsteigenden Wassers! Zu schade, dass ich hier keinen Baum anzapfen darf. Aber ich mache mich mit einem schönen Stück Rinde auf den Rückweg.

 

 

 

Eigentlich schon auf dem Weg nach Hause zieht es mich einen kleinen Trampelpfad hinein. Er führt zu einem kleinen Plätzchen mit einem bemoosten Baumstumpf in der Mitte, auf den die Sonne scheint. Ein märchenhafter, einladender Platz. Ich sitze noch eine ganze Weile dort. Schäle in Ruhe die schmutzige, oberste Papierschicht von meinem Rindenstück. Bewahre die abgezogenen Streifen in meiner Hosentasche als Zunder für das nächste Feuer auf. Eine meditative Tätigkeit an einem wundervollen Ort. Einen Waldzweig habe ich dort nicht gesehen, aber es hätte mich nicht gewundert.